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           Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird...

    Ein Interview mit dem Slammer Grand Corps Malade

bei seinem Konzert in Berlin, im Januar 2010

 

                                                     

                                                              

   

                                    Photos : © Grand méchant loup | Böser Wolf 

 

.... Ich ging eines Tages mit einem Freund in eine kleine Bar, in der es einen Poetry-Slam-Abend gab. An Slam-Abenden kann jeder seinen Text vortragen, das nennt man offene Bühne. Jeder darf zum Mikro greifen. Nun habe ich mich da hingesetzt, habe zwei Stunden lang vielen Leuten zugehört, die ihre Texte vortrugen – ganz unterschiedliche Menschen: junge, alte, Frauen, Männer. Da ich schon einige Texte geschrieben hatte, wusste ich, dass ich das auch konnte und habe Lust bekommen mitzumachen...                         .

 

Was ist das Slam?    

Was finden Sie toll am Slam?

Die Vielfalt. Der eine Text ist zum Totlachen, der andere Text rührt dich zu Tränen. Voilà, ich mag solche Momente, aber, was mir vor allem daran gefällt, sind die Worte.  Du denkst an jenen Slammer, der mehrmals ein und denselben Satz wiederholt hat oder an die eine kleine Slammerin mit ihrer ganz sanften Stimme.

Sind das Lieder, Gedichte oder Texte, die Sie machen?

Der Slam ist ursprünglich ohne Musik. Es gibt auch keine rhythmische Begleitung,

kein Bühnenbild, keine bestimmte Kleidung, keine Beleuchtung. Er besteht wirklich

nur aus dem nackten Wort; alles dient dem Wort. Später habe ich Musik

beigemischt. Ab dem Moment, wo Text und Musik zusammenkommen und auf

eine CD gebrannt sind, stört es mich nicht, das als Lied zu bezeichnen.        

 

 

Zum ersten Mal in Berlin    

In Berlin spricht man deutsch: Ist es nicht komisch für Sie, ein Konzert dort zu geben?

Ich habe viele Konzerte im Ausland gegeben, aber das waren französischsprachige Länder:Ich war in Mali, in Quebec, in der Schweiz und in Belgien. Es wird mein allererstes Konzert in einemnicht französischsprachigen Land. Ich weiß aber, dass im Publikum viele Franzosen sein werden und auch Schüler, die Französisch lernen. Das gibt mir also ein bisschen Sicherheit. Aber es stimmt schon, es ist nicht wie sonst. Ich bin gerade dabei zu lernen, einige Sätze auf Deutsch zu sagen. Mal sehen,was dabei herauskommt.

Sind Sie zum ersten Mal hier in Berlin?

Ich war schon einmal für eine Stunde in Berlin, damals mit elf oder zwölf, auf der Durchreise bei einer Klassenfahrt. Also bin ich jetzt zum ersten Mal richtig hier.

Wie ist Ihr Eindruck?

Hat mir gut gefallen. Ich bin auch extra eher gekommen. Zwei, drei Tage lang habe ich vor allem gefroren (lacht), und sonst habe ich die üblichen touristischen Orte gesehen, das Brandenburger Tor, das Holocaust-Mahnmal, den Reichstag und den Check Point Charlie. Und dann bin ich auch ein bisschen spazierengegangen, ich war in kleinen Lokalen, in kleinen Bars. Die Stadt ist ziemlich in Bewegung, finde ich.

Sie haben einen Text über Saint-Denis geschrieben. Haben Sie vor, etwas über Berlin zu schreiben?

Nein. Ich müsste die Stadt wirklich gut kennen, um etwas darüber zu schreiben, das gilt im übrigen für alle Themen. Auch aus Respekt vor den Berlinern könnte ich keinen Text über Berlin schreiben, wo ich nur drei Sehenswürdigkeiten und das Hotelzimmer gesehen habe.

Kannten Sie den deutschen Slam-Poeten Bas Böttcher schon, bevor sie nach Deutschland kamen?

Ja, ich hatte bereits etwas von ihm gehört. Ich wusste, dass er sehr viel macht, aber ich kannte ihn nicht persönlich. Wir haben uns getroffen und das war sehr interessant. Wir haben uns mit Schülern getroffen und uns gegenseitig Fragen gestellt. Auf diese Weise konnte ich Bas Böttcher kennenlernen. Er hat eine Vorgehensweise, die letztlich meiner sehr ähnlich ist: Er hat mit dem Slam bei offenen Abenden angefangen und gibt heute auch eigene Shows.

 

Ich lebe immer noch in der Vorstadt    

Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, in der Vorstadt groß zu werden?

Ich bin 32 und lebe immer noch in Saint-Denis. Ja, ich denke, es ist eine Chance, weil das Leben dort nicht leicht ist, es gibt Armut, manchmal Gewalt. Es ist aber an vielen Orten so.Auf jeden Fall gibt es dort einen echten kulturellen Reichtum. Ich hatte das Glück seit meiner frühen Kindheit, mit Leuten aus vielen verschiedenen Ländern in Berührung zu kommen. Für mich ist das Leben in den Vororten also ein Vorteil. Es ist eine gute Gelegenheit, seinen Horizont zu erweitern.

Sie würden also nicht woanders wohnen wollen?

Ich fühle mich in Saint-Denis wohl, dort habe ich meine Familie, alle meine Freunde und meine Gewohnheiten. Und dank der Tournee bin ich sowieso viel unterwegs. Wenn ich also mal zu Hause sein kann, bin ich froh, wenn ich dort meine Bezugspunkte habe. Ich kenne alle Geschäfte, kleine Bars und Lokale, aber vielleicht habe ich irgendwann Lust auf etwas anderes, z.B. im Ausland zu leben. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird.

 

Was ich mag und was nicht

Wären Sie auch Slammer geworden, wenn Sie nicht den Unfall gehabt hätten?

Vor dem Unfall habe ich wirklich sehr, sehr viel Sport getrieben, und ich glaube, ich hätte weitergemacht, aber wer weiß? Wäre ich zu einem Slam-Abend gekommen, hätte es mich vielleicht genauso angesteckt und  ich hätte mir gesagt: Ich habe wirklich Lust darauf.

Was gibt Ihnen in Ihrem Leben Halt und Kraft?

Ganz viele Dinge. Die Sonne, der blaue Himmel. Ja, die Sonne scheint gerade. Okay, wir frieren uns hier einen ab, aber die Sonne scheint zumindest...

Zum ersten Mal seit 20 Tagen!

Nein, es gibt viele Dinge, die mir Kraft geben: Meine Verwandten, meine Familie, meine Freunde, meine Projekte. Die Leute insgesamt, ich habe ja einen Beruf, der mich ganz viele Menschen kennenlernen lässt. Nun ja, ich habe viele Veranstaltungen mit Schülern wie euch, ich biete hier und da Slam-Work-Shops an, in Schulen, in Gefängnissen, in Krankenhäusern. Ich treffe total gerne Leute und deshalb geben sie mir Kraft.

Was ist das Lustigste, was Ihnen je während der Arbeit passiert ist?

Lustig? Das ist schwer zu beantworten. Vielleicht mein letztes Konzert in Frankreich. Es gibt eine kleine Tradition in der Welt der Unterhaltung: Wenn es dein letzter Auftritt ist, versucht das Team dich nach Strich und Faden zu veräppeln. Sie bringen dich in unangenehme Situationen und überraschen dich den ganzen Abend über. Mein Regisseur kam verkleidet auf die Bühne. Als die Musiker loslegen sollten, drehte ich mich um, aber es war kein einziger Musiker auf der Bühne. Zum Schluss kam mein Produzent als Weihnachtsmann verkleidet auf die Bühne und tanzte, weil gerade Weihnachten war. Ich weiß nicht, ob dass die lustigste Situation war, auf jeden Fall haben wir einen ganz besonderen Abend verbracht.

 

Gibt es eine Charaktereigenschaft, die Sie bei anderen Menschen überhaupt nicht mögen?

Ich mag keine Menschen, die Vorurteile haben, intolerante Menschen, die, ohne zu wissen einfach so Werturteile abgeben. Ich mag keine pessimistischen Menschen, ich kann zwar verstehen, dass es Momente gibt, in denen man nicht optimistisch sein kann, aber ich glaube einfach, dass man immer eine Kleinigkeit findet, die man positiv betrachten kann.

Merci, Danke!

                                                                                                               

Interview: Alina, Emillia, David, Sidney, Anastasia

© Grand méchant loup, www.boeser-wolf.schule.de

Herzlichen Dank an die Kulturabteilung der Französischen Botschaft und an The French Music Export Office