Wir sind im „Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung“ in Stuttgart gewesen. Dort befindet sich die Sammlung des Erfinders der Homöopathie. Wir haben mit Martin Dinges* gesprochen, der uns diese komplizierten Worte ganz einfach erklärt hat.
Der Erfinder Christian Friedrich Samuel Hahnemann
Hahnemann war Arzt. Er ist 1755 in Sachsen geboren und 1843 in Paris gestorben. Er hat sich darüber geärgert, dass die Ärzte so wenig über die Wirkung einzelner Arzneien wussten. Die Patienten bekamen eine gemischte Arznei aus vielen verschiedenen Stoffen. Hahnemann begab sich auf die Suche nach anderen Heilmitteln.
Erstens stellte er fest, dass man Ähnliches mit Ähnlichem behandeln kann. Das ist sozusagen die entscheidende Idee.
Zweitens sagte Hahnemann, es sei besser, immer ein einzelnes Mittel zu nehmen und dabei genau zu beobachten, wie dieses wirkt.
Und drittens stellte er fest, dass weniger von dem Stoff manchmal besser wirkt. Das hat er im Lauf seines Lebens weiterverfolgt. Das heißt, man gibt nicht ein Stück Zwiebel als Medikament, sondern in einer „potenzierten“ Form, in einer ganz, ganz verdünnten Form.
Um zu beobachten wie jedes einzelnes Arzneimittel genau wirkt, gab Hahnemann gesunden Leuten eine kleine Menge davon. Diese Menschen beschrieben, was sie dabei fühlten. „Bei Kamille habe ich mehr geschwitzt, oder mir wird ganz schwindelig bei Guajakol... Und wenn ich noch mehr davon nehme, wird mir noch schwindeliger oder weniger schwindelig...“
Diese Berichte schickten sie dann zu Hahnemann, der sie zusammenstellen ließ.
Mit diesem Wissen behandelte er seine Patienten. Er beobachtete, ob sie auch wie Gesunde reagierten.
Martin Dinges zeigte uns sehr alte Hefte, die im Archiv sorgfältig aufbewahrt werden. Sie enthalten Aufzeichnungen von Hahnemann und sind in alter deutscher Schrift geschrieben, wir konnten sie gar nicht lesen! Herr Dinges tat es für uns. Es ging hier ums Kitzeln: „Das ist zum Teil im Handteller oder anderswo, in dem Gesäß... Kitzeln an den Fußsohlen hat sich verstärkt...“
Auch solche Anzeichen wie Kitzeln werden für einen Hinweis auf Krankheit gehalten.
Wir kennen das selbst, wenn wir zum Homöopathen gehen. Dann stellt man uns erstaunliche Fragen wie: „Wann hast du deinen ersten Zahn verloren, trinkst du viel oder wenig, langsam oder schnell, magst du Eier?...“ Und dann kriegen wir ein entsprechendes Mittel in Form von Kügelchen, die nach Zucker schmecken.
Es gab damals noch nicht die Karteikarten, die man vom Arzt kennt: Hahnemann hat dicke Hefte - 54 Krankenjournale insgesamt - über Patienten geführt. Auf dem obersten Rand schrieb er den Namen des Patienten und dann seine gesundheit-lichen Probleme. Und dazu, was der Patient bekommen hat und auch wann.
Hier ein weiteres Beispiel:
„Gestern war der Schwindel schlimmer beim Stehen als beim Sitzen und auch im Gehen. Reißen (also Schmerzen) in den Füßen am Tag. Nachts weniger usw. Husten: weniger. Kein Nasenbluten...“
Damals herrschte die Vorstellung, ein gesunder Mensch ist ein Mensch, bei dem die vier Säfte, die im Körper sind – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – immer im Gleichgewicht bleiben. Diese Lehre stammt aus der Antike.
Wenn der Körper Blut rauslässt, also z.B. durch die Nase als Nasenblut, dann zeigt das, dass zuviel von diesem Saft im Körper ist und es muss raus.
Alle Informationen über die verschiedenen Arzneimittel und deren Wirkungen wurden in einem Symptomregister zusammengefasst, damit die behandelnden Ärzte in das Buch reingucken können, und am Ende des Gesprächs sagen können, ja, das ist das beste Mittel. Heute gibt es Homöopathen, die die passenden Arzneimittel am Computer suchen, statt in den Büchern.
Dann haben wir noch Hefte auf Französisch gesehen, die von seiner zweiten Frau Mélanie geführt wurden. Mélanie war Französin und Malerin. Mit 35 Jahren ist sie zu Hahnemann nach Köthen in Sachsen-Anhalt gereist, weil sie Schmerzen im Unterleib hatte und niemand konnte ihr helfen. Sie hatte von einem guten Arzt in Deutschland gehört. Hahnemann hat sie behandelt, und schnell entwickelte sich eine Liebesbeziehung daraus. Sie heirateten und fuhren 1835 nach Paris.
Mélanie arbeitete sich so ein, dass sie mit ihm die Praxis geführt hat. Die französische Schrift von Mélanie, eine typische Latein-Schreibschrift, ist viel leichter zu lesen:
« Madame Pescaux. Dort bien jusqu’à trois heures du matin etc. En se réveillant, elle a mal au cœur, les paupières rouges… » (das heißt: „Frau Pescaux. Schläft gut bis drei Uhr in der Nacht… Wenn sie aufwacht, ist ihr übel, hat rote Augenlider…“)
Es war sehr beeindruckend, so alte selbstgeschriebene Hefte zu sehen. Am liebsten hätten wir das ganze Heft durchgelesen.
Melanie führte die Krankenjournale anders als ihr Mann. Unter den Namen des Patienten und den Notizen über seine Symptome und die Arzneimittel, die er dazu bekam, ließ sie Blätter frei, so dass alles über denselben Patienten zusammen steht. Sie schrieb noch die Termine dazu und nummerierte die Blätter zusätzlich durch. So hatte sie alle Informationen über eine Person auf einmal.
Dies führte zu einer wesentlichen Verbesserung der Praxisdokumentation.
Es gab in Stuttgart einen Arzt namens Haehl, der die Lebensgeschichte von Hahnemann schreiben wollte. Dafür sammelte er, was er von ihm und über ihn finden konnte: Manuskripte, Briefe, Gegenstände... Als Haehl Anfang der 20er Jahre in den Ruhestand gehen wollte, war seine ganze Rente aufgrund der Inflation weg! Das Geld verlor damals von Stunde zu Stunde an Wert. Deshalb ging Haehl zu Robert Bosch und bot ihm seine Sammlung an - bestehend aus wertvollen Symptomregistern, Krankenjournalen, 5000 Briefen von Patienten an Hahnemann.
Robert Bosch kaufte die ganze Sammlung ab, er tat es nicht nur, um Haehl zu helfen. Als Kind war er selbst homöopathisch behandelt worden und er interessierte sich sehr dafür.
Die Sammlung ist ein öffentliches Archiv der Robert Bosch Stiftung. Das heißt, es ist wie eine öffentliche Bibliothek, und es wird dafür gesorgt, dass die Sammlung in gutem Zustand aufbewahrt wird.
Sie wird auch vervollständigt. Eine der Aufgaben des Archivars ist es, zu Auktionen zu fahren und neues Material zu erwerben. Vor zwei Jahren kaufte das Institut ein Manuskript von Hahnemann, das via London in Südafrika gelandet war. Inzwischen kosten sie ein Vermögen. Sogar Briefe von Hahnemann kosten mehrere tausend Euro.
Also, ein wahrer Schatz nicht nur an Wissen!
von Alina, Anastasia, David und Sidney
* Martin Dinges ist Archivar: „Archivare sind Leute, die sich Gedanken machen, was von den fürchterlich vielen Papieren - die zum Beispiel in der Robert Bosch Stiftung produziert werden, zum Schluss aufbewahrt werden soll.
Wenn man später Geschichte schreiben will, muss man ja Unterlagen dazu haben. Die Leute, die dabei waren, kann man natürlich nur fragen, solange sie noch leben. Deswegen muss man einen Teil des vielen Papiers aufbewahren, und dafür bin ich zum Beispiel zuständig.“