Ein Geschichtsbuch für deutsche und französische Schüler

 

Ein Interview mit dem Historiker Rudolf von Thadden

 


Sie haben mit anderen Menschen an einem deutsch-französischen Geschichtsbuch für die Schule gearbeitet. Warum?
Es gibt französische, spanische, italienische, deutsche Geschichte, überall gibt es Geschichte. Ich habe einmal in meinem Leben versucht, auf den Mont Blanc zu steigen. Kennt ihr den Mont Blanc? Das ist der höchste Berg in Europa, 4810 m. Der Mont Blanc lässt sich von zwei Seiten aus besteigen, von der französischen oder von der italienischen Seite aus. Ich habe es erst von der französischen Seite aus versucht, habe es aber nicht geschafft, ich kam nur bis 3000 m. Dann habe ich es von der italienischen Seite aus probiert, aber da kam ich nur bis 2000 m, weil es so steil war. Und ich habe mir gesagt, es ist aber doch derselbe Mont Blanc. Aber zwei Aufstiege, zwei Herangehensweisen. Und dann habe ich einen Satz formuliert, der kommt jetzt in die Schulbücher und der heißt: Eine Wirklichkeit – zwei Herangehensweisen an die Geschichte. Die Menschen erleben Geschichte anders. Es gibt eine französische Sicht der Dinge und eine deutsche, und die kannst du ja nebeneinander stellen.

Das Buch ist also für beide Länder gemacht?

Ja. Z.B. gab es da einen großen französischen Kaiser, der hieß Napoleon und hatte ganz Europa besetzt. Und denselben Napoleon haben die Deutschen anders erlebt als die Franzosen. Damals

hatten die Deutschen verloren. Und so haben wir in dem Geschichtsbuch links die französische Seite, rechts die deutsche Seite und in der Mitte ein Bild von Napoleon. Das ist derselbe Napoleon, aber da siehst du auf der rechten Seite die Sicht der Deutschen: Jetzt werden wir besiegt und jetzt kommt der Kaiser bis nach Berlin und wir müssen sogar seine Soldaten bezahlen... Und dann die französische Seite:Toll, wir sind bis Berlin gekommen, von Paris bis Berlin und unsere Soldaten können jetzt sogar durch das Brandenburger Tor reiten und jetzt sind wir die Herren.


Für welche Klasse ist das Geschichtsbuch, auch schon für uns 6.Klässler?

Das ist für die Oberstufe, also erst ab der 11. Klasse. Ihr müsst erst mal die einfachen Sachen der Geschichte lernen, und wenn ihr größer seid, dann könnt ihr vergleichen.

Warum ist das nicht ein deutsch-russisches oder ein deutsch-spanisches Geschichtsbuch?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Und wenn du neben einem Spanier sitzt, unterhältst du dich mehr über Spanien. Ich habe eben immer neben Franzosen gesessen. Und dann habe ich gesagt, fange ich damit mal an, weil ich die am besten kenne. Aber es kann ja mal ein anderer kommen und macht ein französisch-spanisches Geschichtsbuch, das wäre auch schön. Und dann kann man
ja eines Tages ein europäisches Buch machen, da kommen alle rein. Aber da müssen wir noch viel arbeiten, bis wir das können.


Wieso hat es immer so viele Kriege zwischen Deutschland und Frankreich gegeben?

Weil die Menschen eben immer gerne Land von anderen haben wollten. Hier auf beide Länder bezogen, fing das schon im frühen Mittelalter an. Da gingen nicht nur Deutsche, sondern auch Schweden und Dänen und Norweger und all die Leute aus dem Norden in den Süden, vor allen Dingen nach Italien, weil sie sagten, das ist schöner und wärmer, da wollen wir Land haben. Dann haben sie den Italienern Land weggenommen. Und wisst ihr, wie man das nennt?

 

Auf Deutsch sagt man Völkerwanderung, aber auf Französisch heißt das "invasion des Barbares". Weil die Franzosen und die Italiener und auch die Spanier gesagt haben, was kommen die komischen Leute da aus dem Norden und nehmen uns alles weg? Das sind Barbaren. Das war der
Anfang der Kriege da unten. Aber die Romanen, man nennt die Italiener, die Franzosen und die Spanier zusammen die Romanen, die haben früher auch schon Kriege gemacht. Die konnten das sogar noch besser als die Deutschen, weil sie schon Brücken bauen konnten. Die Italiener waren die ersten, die Brücken bauen konnten. Das konnten die Deutschen einfach nicht. Dann kannst du Kriege führen.

 

Wegen der Brücken?

Ja, genau. Da konnten sie Land wegnehmen. Aber eines Tages war dann Schluss. Weißt du, warum die dann keine Lust mehr hatten?

 

Sie waren müde?

Vielleicht auch. Die haben aber so schlimme Waffen gehabt, da gingen einfach zu viele Menschen tot. Im Mittelalter gab es ja noch nicht so viele Waffen wie heute. Da haben die Menschen Speere und Schwerter gehabt und sind auf Pferden geritten und wenn sie Lust hatten, haben sie mit Feuer geworfen, das konnten sie auch schon. Aber guck dir mal an, was sie heute für Waffen haben, ganz schlimme Waffen. Atombomben, Bomben, Pistolen...

 

Kanonen, Gewehre, Flugzeuge, Panzer. 

Panzer können natürlich viel mehr kaputtmachen. Und dann haben die Leute nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt, da ging ja soviel kaputt, das ist ja nicht mehr wie früher ein Spiel, jetzt hören wir auf. Und was machen die Menschen? Irgendwas müssen sie ja machen, jetzt spielen sie Fußball. Und das habe ich gerne im Spiel. Einmal ist der eine der Beste, dann ist der andere der Beste und das ist viel besser als Kriege zu machen. Man kann sicher andere Antworten geben, aber ich habe mir das so zurechtgelegt. Denn das ist interessant, wir in Europa wollen keine Kriege mehr. Wir haben keine Lust mehr. Ist doch gut, nicht?


Ja, ist auch sicherer.

Ja, aber man muss dafür auch was tun. Nicht denken, bloß, weil einer anders ist, das ist ein Feind. Das ist wie im Zoologischen Garten oder wie im Garten. Da gibt es verschiedene Blumen, Rosen, Tulpen und im Zoologischen Garten gibt es Giraffen, Elefanten und Bären. Die Menschen sind auch verschieden und das ist gut so, ist nicht so langweilig.



 

Interview: Anastasia, André, Johannes und Manon

Zeichnungen: Alina, Anastasia und Emilia

Text und Zeichnungen © Böser Wolf