Oft sagen junge Menschen:

"Das DFJW hat mein Leben verändert"

  

    Ein Interview der Kinderreporter des Bösen Wolfs mit Béatrice Angrand und

Markus Ingenlath, Generalsekretäre des Deutsch-Französischen Jugendwerks

 

 

 


Französisch und Deutsch >>>

Deutsch-französische Beziehungen >>>

Wofür ist das DFJW gut? >>>

Der Élysée-Vertrag >>>

Paris und Berlin >>>

Typisch deutsch und typisch französisch >>>

 

Französisch und Deutsch


War Französisch Ihr Lieblingsfach?
Markus Ingenlath: Ich habe in der Schule eher Latein gemocht. Ich habe ich mich erst nach der Schule intensiver mit Französisch beschäftigt, aber es hat mich nie losgelassen. Heute finde ich, dass es eine wirklich sehr schöne Sprache ist.


War Deutsch Ihr Lieblingsfach?
Béatrice Angrand: Eigentlich war der Ausgangspunkt die Deutschlehrerin: Sie war meine Lieblingslehrerin. Sie war es also, die mich in der 6. Klasse motiviert hat, Deutsch zu lernen und auch den Wunsch schnell erweckte, nach Deutschland gehen zu wollen, zu einer Familie, mit der ich noch sehr lange in Kontakt war.

Haben Sie ein Lieblingswort in Französisch ?
Markus: Da kann man sehr schnell ins Klischee fallen. Ich habe deswegen ein bisschen darüber nachgedacht, und mir ist das Wort voilà eingefallen. Das ist eine französische Lebensweise, mit der man unheimlich viel ausdrücken kann. Ich finde, das ist ein sehr schönes Wort, was den Reichtum der französischen Sprache ausdrückt.


Und in Deutsch?
Markus: Im Deutschen ist das ganz schwer zu sagen, weil wir so viel gewöhnt sind, unsere Sprache zu sprechen. Das ist vielleicht das Wort „Geist“, was auch ganz schwierig in verschiedene Sprachen zu übersetzen ist. Das kann natürlich das „Kleine Gespenst“ wie im Buch von Otfried Preußler sein. Es kann l'esprit sein, aber l'esprit ist nicht gleich Geist. Da gibt es kleine Unterscheidungen, das ist auch ein sehr schillerndes Wort.


Haben Sie ein Lieblingswort in Französisch und in Deutsch?

Béatrice: Im Französischen wäre es „douceur“ (dt.: Sanftheit). Ich finde, dass das Wort der Sache, die es bedeutet, ähnelt.

Im Deutschen ist es schwieriger, aber ich denke, dass es Stachelbeerkuchen ist: mein Lieblingskuchen in Deutschland!

 

Deutsch-französische Beziehungen

Haben Sie sich früh für die deutsch-französischen Beziehungen interessiert?
Béatrice: Ja, sehr früh, aber eher durch einen persönlichen, freundschaftlichen Zugang, weil ich, seit ich 13 Jahre alt war, diese Familie aus Niedersachsen getroffen habe, deren Tochter meine Austauschpartnerin war. Ich habe mich mit ihr befreundet und gleich festgestellt, dass es Unterschiede gibt: zum Beispiel in der Erziehung, im Bildungssystem und natürlich beim Essen. Und so habe ich angefangen mich für die deutsch-französischen Beziehungen zu interessieren.


Markus: Ich habe mich eigentlich sehr früh dafür interessiert, weil Geschichte mein Lieblingsfach war und dort ist es ganz wichtig zu sehen, wie die deutsch-französischen Beziehungen waren. Und sie waren leider in der Vergangenheit auch sehr oft kriegerisch. Meine Generation ist ja die letzte, die etwas auch mündlich von Zeitzeugen erfahren hat. Ihr seid jetzt in einer ganz anderen Zeit, das ist klar, und deswegen bin ich über die großen Zusammenhänge zu den Menschen, also zu den deutsch-französischen Beziehungen im Kleinen gekommen.

Arbeiten Sie die ganze Zeit zusammen ?
Béatrice: Wir arbeiten viel zusammen, ich wohne zwar in Paris und Markus Ingenlath in Berlin, es gibt trotz räumlicher Distanz Verbindungen. Natürlich sitzen wir oft im Flugzeug. Der eine kommt nach Paris, um zu arbeiten, der andere kommt nach Berlin zu Versammlungen, und auch zum Arbeiten. Wir versuchen die Verantwortungen aufzuteilen, wir telefonieren, schicken uns Mails, weil beim Deutsch -Französischen Jugendwerk, die gesamten Entscheidungen gemeinsam getroffen werden sollen.

 

Wofür ist das DFJW gut?

Wofür ist das DFJW gut? Was ist das Wichtigste?
Béatrice: Das DFJW ist vor allem da, um den Jugendaustausch zwischen Deutschland und Frankreich zu fördern, aber auch mit anderen Ländern Europas und der Welt. Man muss das Wort "jung" in einem sehr weitgefassten Sinne verstehen, da wir mit Projekten beginnen, die sich an Kinder ab 3 Jahren richten. Wir arbeiten aber auch mit Jugendlichen bis hin zu jungen Menschen, die schon im Berufsleben stehen und dreißig sind. Über diese Hauptaufgabe, den Jugendaustausch hinaus, ist das Hauptziel wirklich, es der deutsch-französischen Beziehung zu ermöglichen bis in alle Ewigkeit auf nationaler Ebene ihren Ausdruck zu finden. Das bedeutet, dass man bei jeder Generation von vorne beginnen muss.


Markus: Das DFJW ist gegründet worden, damit der Jugendaustausch zwischen Deutschen und Franzosen gefördert wird. Es kommt darauf an, dass jede neue Generation das andere Land kennenlernt, das heißt nicht nur oberflächlich, sondern wirklich auch lernt: wie funktioniert die Schule dort, wie wählen die Franzosen, wie ist das politische System, wie ist das Wirtschaftssystem?

Dazu kommt heute auch noch ein zweiter Aspekt. Jede Beziehung, also, wenn zwei zusammen arbeiten, ist in der Gefahr, dass sie sich nur auf sich selbst konzentriert. Ihr wisst das selbst, wenn jemand einen Freund oder eine Freundin hat und beide nur ausschließlich gemeinsam etwas unternehmen, dann achten sie nicht darauf, was drum herum passiert. Das dürfen sich Frankreich und Deutschland nicht erlauben, denn beide Länder haben heute eine große Aufgabe innerhalb Europas. Sie sind beide die wichtigsten Länder Europas aufgrund ihrer Geschichte und ihrer jeweiligen Tradition. Deswegen müssen wir beide, Deutschland und Frankreich, schauen, wie wir Europa zusammen voranbringen. Das ist unsere Aufgabe, nicht nur die der Regierungen, sondern auch die beider Gesellschaften.

Gibt es Zeiten im Jahr, wo es mehr Jugendaustausch gibt als sonst?
Béatrice: Ja, im Sommer und während der Schulferien. Es ist nicht immer leicht, einen Jugend - und Kinderaustausch zu organisieren, da die Ferienzeiten beider Länder nicht auf denselben Zeitraum fallen. Zwischen beiden Ländern gibt es bestimmte Zwänge, die eine Organisation erschweren.

Und ist das DFJW einzigartig oder gibt es auch in anderen Ländern ähnliche Einrichtungen?
Markus: Es ist in dieser Form für Deutschland einzigartig. Das ist von Adenauer und De Gaulle, von den Gründungsvätern, wohl bewusst so angelegt worden, dass wir nicht Teil einer Verwaltung sind, sondern eine unabhängige internationale Organisation. Es gibt davon abgesehen in Deutschland aber eine Reihe von Organisationen, die den internationalen Jugendaustausch fördern. Ich nenne hier das Deutsch-Polnische Jugendwerk, mit dem wir eng zusammen arbeiten und versuchen, trilaterale Begegnungen zu machen: Deutschland, Frankreich, Polen. Dann gibt es den deutsch-russischen Austausch, es gibt den deutsch-tschechischen Austausch und einen deutsch-israelischen Austausch.
In Frankreich ist das nicht so verbreitet. Es gibt ein Office Franco-Québécois pour la Jeunesse, ein Französisch-Quebequisches Jugendwerk, mit dem das DFJW eine Kooperation hat.

Was könnte man im DFJW verändern oder verbessern?
Béatrice:  Zunächst wäre es gut, wenn wir über mehr Mittel verfügen würden. Man könnte noch mehr Projekte mit den Kleinen entwickeln, weil es wichtig ist, sich so früh wie möglich für das andere Land zu interessieren, für die Sprache. In dem Alter lernt man am Schnellsten. Schön wäre auch, ein bisschen weniger Verwaltungsarbeit zu haben. Und auch, mehr mit jungen politisch interessierten Menschen zwischen 18 und 30 Jahren zu arbeiten.

 

Der Élysée-Vertrag

Welche Bedeutung hat der Élysée-Vertrag für Sie?
Béatrice: Der Élysée-Vertrag bedeutet eine sehr wichtige Etappe in der Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Dieser Vertrag ist die Folge zahlreicher Initiativen, die schon zwischen beiden Kriegen begonnen hatten. Zu dieser Zeit hatten französische Intellektuelle schon beschlossen, dass es nicht gut war, Deutschland als Erbfeind zu betrachten und hatten bereits Beziehungen, insbesondere intellektueller Art mit Deutschland aufgenommen. Zwar hat der Zweite Weltkrieg den Prozess kaputt gemacht, aber danach hat es Persönlichkeiten gegeben, die die Absicht hatten, Franzosen und Deutsche miteinander zu versöhnen. Das hat zu einem Dokument geführt, das formell und politisch ist, jedoch nur eine Etappe ist.

Markus: Für mich als Deutschen ist der Élysée-Vertrag ein großer Schritt, mit dem Frankreich auf uns zugegangen ist. Man muss sich das einmal vorstellen: Nur 18 Jahre, nachdem der letzte Krieg zwischen Deutschland und Frankreich beendet wurde. 18 Jahre sind nicht viel. Die Menschen konnten sich noch gut erinnern, gerade in Frankreich, dass die Deutschen zuvor drei Mal innerhalb von siebzig Jahren über die Grenze gekommen waren und Frankreich überfallen haben. Und nachdem dies alles passiert ist, 18 Jahre danach, einen Freundschaftsvertrag zu machen und zu sagen, ab jetzt wollen wir uns nie mehr bekriegen, im Gegenteil, wirsetzen in Zukunft auf unsere Jugend, die jungen Menschen, die sollen es einmal anders machen.


Das ist für mich ein großartiges Erbe, das diese beiden Staatsmänner, Adenauer und De Gaulle, uns hinterlassen haben: Dass es heute nicht mehr vorstellbar ist, dass es Krieg zwischen Deutschland und Frankreich gibt. Dies ist nach meiner Auffassung ein wichtiges Signal dieses Vertrages und daran muss weiter gearbeitet werden. Dass er nicht nur ein schönes historisches Ereignis war, sondern dass er weiter lebendig bleibt. Das ist die Aufgabe jeder Generation, dazu will das Deutsch-Französische Jugendwerk, einen Beitrag leisten.

Bräuchte man nicht einen neuen aktuelleren Vertrag?
Béatrice: Eine interessante Spur wäre es, sich den Vertrag von 1963 vorzunehmen und sich zu fragen, ob alles bis zuletzt umgesetzt wurde. Außerdem fehlen heute wesentliche Aspekte in allen Erziehungs- oder Jugendfragen, zum Beispiel im Hinblick auf die neuen Medien, den virtuellen Austausch. Letztlich müsste man schauen, wie dieser Vertrag in einen europäischen Rahmen passt, da man zu der Zeit in einem kleinen Europa lebte, wo Frankreich und Deutschland wirklich die Hauptrolle hatten. Heute, in einem erweiterten Europa, ist diese Rolle ganz anders.

Wäre mehr Integration zwischen Frankreich und Deutschland nötig?
Béatrice: Man müsste zum Beispiel automatisch einen doppelten Pass bekommen. Die Dinge müssten leichter laufen, zum Beispiel unter anderem beim Bildungssystem, damit die Noten systematisch in beiden Ländern gegenseitig anerkannt würden. So
könnte man leichter an der Schule oder der Universität des anderen Landes studieren. Sobald Vereine versuchen gemeinsam Projekte zu organisieren, ist es oft rechtlich oder verwaltungstechnisch schwierig. Wenn die Diplome, das BAFA und das JU.LEI.CA die gleichen wären, wäre es leichter im Sommer deutsch-französische Feriencamps zu organisieren.
Also für mich geht es in der Tat um mehr Integration. Es gäbe vieles zu tun und vielleicht wäre es sogar nicht so umfassend. Man müsste es nur wirklich wollen. Und gleichzeitig Politiker und die gesamte Bevölkerung überzeugen, dass es ein sehr wichtiges Ziel ist.

 

Wie möchten Sie den 50. Jahrestag des DFJW feiern? Werden viele Kinder und Jugendliche mitmachen?
Markus: Wir werden mit allen feiern, die wir in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart als unsere Partner haben. Das ist uns sehr wichtig. Wir wollen aber darüber hinaus auch diesen Anlass nutzen, um zu überlegen, wie man den deutsch-französischen Austausch in zehn Jahren organisieren kann, was die Wünsche der jungen Menschen zu diesem Zeitpunkt sind. Vieles hängt davon ab, ob wir es finanziell können. Wir würden sehr gerne breiter einladen, nicht nur Jugendliche aus Frankreich und Deutschland, die bereits einen Austausch gemacht haben, sondern auch die, die vielleicht nicht so nah an der Sprache sind. Aber dazu benötigen wir Geld. Das ist unser Appell an die Politik.

Zurzeit kritisieren sich die jeweiligen Regierungen. Sind die deutsch-französischen Beziehungen nicht mehr „unantastbar“?
Béatrice: Es ist klar, dass die Dimension „unantastbar” nicht mehr existiert. Die französischen und deutschen Politiker sind sich bewusst, dass es eine Wechselbeziehung gibt und dass sie verantwortlich für die Zukunft dieser Beziehung sind. Ich bin nicht sicher, ob sie immer berücksichtigen, dass außerhalb der Politik zahlreiche Akteure in die deutsch-französischen Beziehungen eingebunden sind. Ich werde euch eine Anekdote erzählen. Als ich in der deutschen Botschaft in Paris war, hat mir der französische Premierminister gesagt, dass ohnehin kein Politiker jemals die deutsch-französischen Beziehungen zerstören könne, weil - er hat es auf Deutsch gesagt - „die Basis“ sehr stark sei, sehr zusammengehörig, sie hänge sehr an dieser Beziehung. Ich habe das als sehr bewegend empfunden, und es hat mich in meiner Verantwortung bestätigt, dass es die Aufgabe des DFJW ist, diese Basis weiterhin zu pflegen, damit sie funktioniert.

Wer klickt die Webseite vom DFJW an?
Markus: Unsere Erkenntnis ist, dass im Kern Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren diese Webseite am meisten nutzen. Wir wollen noch stärker auf Facebook aktiv werden, wir wollen unsere sozialen Netzwerke stärker belegen und dazu sind wir gerade in der Vorbereitung. Weil wir wissen, das ist die moderne Form der Kommunikation, die heute wichtig ist, und das Jugendwerk muss dort noch bekannter werden.

Waren Sie schon auf unserer Website?
Markus: Ja, natürlich! Ich finde insgesamt eure Initiative auch ganz toll, dass ihr euch praktisch noch über das normale Maß hinaus anstrengt und es ist ja nicht einfach, so lange Interviewseiten zusammenzustellen, so viele Fragen vorzubereiten!

Ich unterstütze das, weil auf diese Art und Weise lernt man unheimlich viel, was man sonst im normalen Schulalltag nicht lernen kann.

Was war Ihr schönstes Erlebnis beim DFJW?
Béatrice: Im Allgemeinen sind es Erinnerungen, die mit Diskussionen mit jungen Menschen verbunden sind, wie heute. Häufig sagen sie „Das DFJW hat mein Leben verändert.” Ich habe also Glück, zahlreiche Erinnerungen daran zu haben.


Markus: Es sind die Veranstaltungen gewesen, bei denen sich Kinder und Jugendliche sehr intensiv beteiligt haben, und vor allem sehr ernsthaft über Zukunftsthemen diskutiert haben. Ob das jetzt um Fragen zum Beispiel der Energieversorgung und Europa ging. Also alle diese Momente, wo man um ein Thema herum diskutiert, das sind die schönsten Erinnerungen.

Paris und Berlin

Sie arbeiten in Berlin und Paris, was mögen Sie besonders an den beiden Orten? Gibt es etwas, das Sie vermissen, wenn Sie in der einen oder der anderen Stadt sind?
Markus: Paris ist natürlich nicht so grün wie Berlin. Aber ich vermisse in Berlin die kleinen boulangeries, die kleinen Geschäfte, in denen man schnell ein Baguette oder ein Croissant kaufen kann. Ich bin ein großer Fan von Croissants. Der Einzelhandel in Berlin ist nicht so entwickelt wie in Paris.

Es gibt noch eine zweite Beobachtung, die ich gemacht habe, Paris verändert sich auch sehr stark. Paris hat jetzt gerade fünf Jahre Vélib, gefeiert, „Vélo liberté“, ein Fahrrad-Verleihsystem, was ich auch nutze. Also ich bin in Paris auch gerne mit dem Fahrrad unterwegs. Das ist etwas, was sich verändert hat. Paris wird grüner und umweltbewusster.


Béatrice: In Berlin mag ich das Grüne, ich mag sehr die Museen. Das nutze ich nicht genug aus, aber kulturell ist Berlin eine wirklich faszinierende Stadt. Ich finde, dass die Berliner manchmal etwas direkt sind, „grob“. Die Busfahrer sind ein klein wenig schlecht gelaunt. Aber ich fahre trotzdem lieber mit dem Bus als mit der U-Bahn. So sieht man die Stadt.

 

Typisch deutsch und typisch französisch

Was ist für Sie typisch deutsch und typisch französisch?
Béatrice: Das ist schwer zu beantworten. Wenn man zwischen zwei Ländern ist, verliert man die Bezugspunkte. Ich habe den Eindruck, typisch französisch ist, zu glauben, dass wenn im Zentrum eine Entscheidung getroffen und allen mitgeteilt wird, sie sofort auch umgesetzt wird. Die Franzosen denken, dass es ausreicht, es einmal zu sagen, damit es auch vermittelt und durchgeführt wird.
Was typisch deutsch ist, aber das ist ein Gemeinplatz und es gibt viele Ausnahmen, ist es, sich vor einer Sitzung vorzubereiten.


Markus: Es ist schwierig zu sagen, weil es nicht immer diese typischen Verhaltensweisen gibt. Um ein Beispiel zu sagen, in Frankreich wird es auf jeden Fall mehr vorgezogen, eine Mittagspause zu machen, als in Deutschland. Auch ist die Form in Frankreich oft wichtiger als in Deutschland, wo es nicht selten lässiger zugeht. Und zur Form gehört natürlich auch eine gewisse Tradition beim Essen. Es ist manchmal wichtiger, sich Zeit für ein Mittagsessen zu nehmen und dann abends etwas länger zu arbeiten, als über den Mittag zu arbeiten und abends früher fertig zu sein, weil man während des Mittagessens auch sehr viel Kommunikation haben kann. Ich bin da noch im Lernprozess.

Ein zweites Beispiel ist, dass viele Entscheidungen in Deutschland vorher diskutiert und dann getroffen werden. In Frankreich werden sie getroffen und dann diskutiert.

Welche sind die drei ersten Worte, die Ihnen bei Frankreich und Deutschland in den Sinn kommen?

Béatrice: Wenn ich an Frankreich denke, denke ich an Begriffe, die mit Essen zu tun haben. Aber es ist für mich auch „Familie“. Die dritte Wortfamilie wäre alles, was mit Ästhetik zusammenhängt. Ich mag die französische Literatur sehr gern.

Für Deutschland wäre es auch das Essen, zum Beispiel Stachelbeerkuchen, mein Lieblingskuchen. Es wäre der Begriff Gemütlichkeit, weil die Deutschen das Talent haben, es gemütlich zu machen. Die Franzosen haben diese formelle Seite, vornehm, die auch sympathisch ist, aber etwas Distanz schafft. Die Deutschen haben diese Warmherzigkeit. Und ich finde, dass die Deutschen respektvoll sind.

Markus: Ganz ähnlich wie bei Béatrice, das ist Familie. Ich habe eine ganz große Familie, die in beiden Teilen Deutschlands lebte und jetzt wieder zusammen ist. Das zweite ist Heimat, ein altes deutsches Wort: sich zu Hause fühlen. Meine eigentliche Heimat liegt in Bayern. Das ist also nicht direkt auf den Staat, sondern auf eine Region bezogen. Das dritte ist vielleicht das Wort Kultur. Deutschland ist für mich eine große, durch Sprache, durch Geschichte, durch viele Leistungen geschaffene Identität in Europa.

Bei Frankreich denke ich auch an Kultur. Das ist für mich auch eine Kultur, die sehr stark aus Wurzeln wie dem römischen Erbe herkommt. Eine Kultur, die sehr stark von der katholischen Kirche geprägt war, während wir in Deutschland jetzt eher protestantisch geprägt sind. Was ich zweitens sehr stark mit Frankreich verbinde, ist das Wort „Nation“, das ist anders als in Deutschland. Frankreich ist auch eine viel ältere Nation als Deutschland, und zwar seit dem Mittelalter. Das dritte, was mir in den Sinn kommt, ist La République. Das ist eine Form der politischen Organisation des Landes. Welche prägt: Im Unterschied zu Deutschland gibt es dabei zum Beispiel den Laizismus, das heißt Staat und Religion sind in Frankreich streng getrennt. In Deutschland hat sich aus der Geschichte heraus eine Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften entwickelt. Diese Unterschiede muss man lernen und damit umgehen.

Für welche Mannschaft sind sie bei einem Fußballturnier, für Deutschland oder für Frankreich oder für beide?
Markus: Das ist natürlich eine schwierige Frage. Wenn man ehrlich ist, ist man natürlich für sein nationales Team. Das hat uns aber nicht davon abgehalten, als wir, Deutsche und Franzosen, beim DFJW das Spiel Frankreich-Schweden während der EM zusahen, gemeinsam „Allez les Bleus!“ zu rufen.


 

Interview: Alica, Alice, Coralie, Emmanuelle & Ulysse

Zeichnungen: Alina, Clara, Emmanuelle, Nils

Text, Zeichnungen: und Fotos:

© Grand méchant loup | Böser Wolf

Juni 2012

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